Heute ist es in Schaupps Salon mal wieder Zeit für einen essayartigen Artikel, der auch in “Schaupps Literatur Lounge” stattfinden könnte.
Wenn die Wallet zur Gebetskette wird
Habt ihr euch eigentlich schon mal gefragt, warum Diskussionen über Bitcoin oft so klingen, als fänden sie nicht auf einem Marktplatz, sondern in einer Kathedrale statt?
Mir ist das neulich wieder aufgefallen, als ich mich mit der Welt der „Bitcoin-Maximalisten“ beschäftigt habe. Da geht es nicht mehr nur um Rendite oder Technik.
Da geht es um mehr … um etwas viel Tieferes.
Das Heilsversprechen hinter dem Code
Schaut euch doch mal die Parallelen an: In der Religion warten die Menschen auf Erlösung oder eine moralische Erneuerung der Welt. Und was machen die „Maxis“? Sie predigen die „Hyperbitcoinization“. Das ist ihr Paradies auf Erden. In ihrer Vision bricht das alte, „sündige“ Finanzsystem zusammen, und Bitcoin bringt Weltfrieden, beendet Korruption und heilt die Gesellschaft.
Egal, ob ihr nun an Gott glaubt oder an die Blockchain – das psychologische Bedürfnis ist das gleiche: Die Hoffnung auf ein System, das uns rettet.
Ein Prophet, der im Dunkeln blieb
Und jede gute Überzeugung braucht eine unantastbare Instanz. Bei den einen ist es die heilige Schrift, bei den anderen das „Whitepaper“ von Satoshi Nakamoto. Dass Satoshi anonym geblieben und dann verschwunden ist, war eigentlich sein genialster Schachzug. Erkennt ihr das auch? Ein Schöpfer, der nicht mehr da ist, kann keine menschlichen Fehler machen. Er wird zum Mythos, zur reinen Idee. Er kann euch nicht enttäuschen – und genau das macht den Glauben an ihn so unerschütterlich.
„HODL“ – Die Tugend der Standhaftigkeit
Vielleicht ist euch auch schon aufgefallen, wie moralisch aufgeladen das Halten von Bitcoins ist. Das berühmte „HODLen“ ist im Grunde nichts anderes als modernes Fasten. Man verzichtet heute auf den Konsum, man erträgt den Schmerz der fallenden Kurse, um später belohnt zu werden. Wer schwach wird und verkauft, gilt in der Gemeinschaft fast schon als Abtrünniger, als jemand mit „schwachen Händen“. Das ist asketische Disziplin in digitaler Form.
Brauchen wir mehr Zweifel?
Versteht mich nicht falsch: Ich finde die Mathematik hinter Bitcoin faszinierend. Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt weiß, dass ich zwar kein Bitcoin-Maximalist aber ein sogenannter “Bitcoin heavy” bin, bei dem 75 bis 80% des Kryptoportfolios in Bitcoin liegen. Also ich bin weit davon entfernt, die Faszination für Bitcoin nicht nachvollziehen zu können.
Aber wenn eine Technologie mit einem Exklusivitätsanspruch daherkommt („Ihr sollt keinen Coin neben mir haben!“), dann sollten wir wachsam bleiben.
Fragt euch doch selbst mal: Wo hört die kluge Investition auf und wo beginnt das Dogma? Jede Form von Maximalismus schließt den Zweifel aus. Dabei ist es doch gerade der Zweifel, der uns davor bewahrt, blindlings einem Idol hinterherzulaufen – egal ob es aus Gold ist oder aus Einsen und Nullen besteht.
Vielleicht ist Bitcoin für viele heute die einzige Form von „Glauben“, die in einer technokratischen Welt noch Sinn ergibt. Aber vergessen wir nicht: Ein Werkzeug sollte uns dienen, nicht wir dem Werkzeug.
Herzlichst
Euer
Günther Schaupp
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